Die Computerfreaks
Oft werden die Computerleute verkannt. Laien halten sie für automatenhaft funktionierende unheimliche Kopfarbeiter, die keiner richtigen Gefühlsregung mehr fähig sind. Fachkollegen bezeichnen sie als Hacker, die mangels Kontaktfähigkeiten zu Menschen mit dem Sklaven Computer vorlieb nehmen - Tag und Nacht.
"Unermeßlich vielfältig sind die Arten der Erdenwesen. Daraus aber ragt der Mensch hervor, der die Sprache erfunden hat, die so vielfältig ist, daß man keine zwei findet, welche ein und die selbe sprechen." Prof.Ungrün
Hier soll von den liebeswürdigen Lebewesen berichtet werden, die sich "Computerfreaks" nennen, wie sie leben und welche eigenartigen Sitten und Gebräuche sie haben.
Wer von den Computerfreaks kein eigenes System laufen hat, wer nicht tief in der Hardware wühlt, gilt bei Ihnen wenig. Sie werden beherrscht von dem Gedanken, jedes technische Problem lösen zu können, und das mit Leichtigkeit und in kurzer Zeit. (Ein System ist alles, was keines hat, Hardware das, was beim Runterfallen klappert, und Software das, wovon man logisch erklären kann, warum es nicht funktioniert. Nicht zu verwechseln mit dem Problem, herauszufinden, warum man sie nicht zu Funktionieren bringt. Diese Frage ist ungelöst.)
Sie sammeln (meist abgekupferte, ein Ausdruck, der hier nicht näher erläutert werden soll) Software, aber meistens bedeutet ihnen die "höhere Software" eigentlich wenig. Ihre Domäne sind die Bits und Bytes, die Controller und schnellen RAMs. In der Regel sind sie Einzelkämpfer, wiewohl sie auf eine gewisse geheimbündlerische Art zusammenhalten. (Bits und Bytes sind das, was zwischen Hard- und Software steht, Controller und RAMs unterscheiden sich nicht: schwarze Käfer mit einer Anzahl in Doppelreihe angeordneter, spitzer Drahtfüßchen.)
So leben sie
Manchmal hegen sie puritanische Neigungen, zum Beispiel hinsichtlich höchstqualitativer Disketten, deren Label (Etikett) sie, wenn überhaupt, nur mit zart jungfräulicher Bleistiftschrift entweihen. Disketten sind schwarze Scheiben, auf denen angeblich etwas in magnetischer Schrift geschrieben ist, was aber unsichtbar und aus unbekannten Gründen auch mit dem Computer nicht zu lesen ist. Wenn man sie knickt, auf Magnete oder in die Sonne legt, wird man ohne Kommentar umgebracht.
Die Beziehung der Computerfreaks zum anderen Geschlecht wirft einige Fragen auf. Vergleichbares gibt es höchstens bei HiFi-Enthusiasten, die um größere Boxen kämpfen und das Recht sie nicht hinter dem Vorhang verstecken zu müssen. Doch ist es anders. Sie breiten ungehindert ihre Platinen und ICs in der Wohnung aus, weiß der Teufel, warum Eva das zuläßt. Verstehen tut sie nichts davon - vielleicht aber gerade deshalb. Frauen versuchen nur das zu verhindern, was sie verstehen. Jedenfalls sind Leute, die solche Annoncen aufgeben: "Wegen Heirat Computersystem zu verkaufen", keine ganzen Männer.
Wenn Computerfreaks zusammen kommen, dann nicht ohne meterlange, gefaltete Listings. (Das sind Papierfahnen, die von einem ratternden Drucker oder einer elektronischen Schreibmaschine ausgespien werden. Das ist übrigens der Grund, warum der Rest der Familie nachts nicht schlafen kann und diese dunkle Ringe unter den Augen hat.) Meistens bringen sie sich irgendwelche Platinen mit und diskutieren über Schaltkreise und Packungsdichte. Das ist sehr wesentlich, weil der Computer daraus besteht. Dabei wechseln innerhalb eines Clubs oder Stammtisches die Standards - früher fachsimpelte man über Kassetteninterfaces (die so schrill zirpten wie eine Grille, die die Schallmauer durchbricht), dann über kleine, später über große Diskettenlaufwerke.
Das Eheleben der Computerfreaks
In alle Projekte der Computerfreaks wird die Ehefrau immer mit einbezogen. Dabei ist das erste Problem der Kampf um den Standort des Computers. "Nur ein kleines Eckchen" gehört zum anfänglichen Standardvokabular der Überzeugungstätigkeit. (Die Frau hat noch keine Ahnung, was da auf sie zukommt .) Das zweite Problem der Überzeugungsarbeit ist das Suchen nach Argumenten sinnvoller Anwendungen im Heim und Garten, um so die notwendigen Mittel aus dem Haushaltsplan freizubekommen und zu begründen. Dabei wird die Erfindungsgabe und der Phantasiereichtum des Computerfreaks stark beansprucht. Drittens sind die zeitlichen Bilanzanteile zu sichern und im Familienleben auszuplanen.
Der Computerfreak ist ständig bemüht, die Ehefrau an seinem Glück teilhaben zu lassen. Kaum klappt etwas oder auch, nicht, wird etwas Neues geschrieben und es läuft erwartunsgemäß nicht, wird sie vom Kochtopf gezerrt, muß Putzeimer und Wischlappen fallen lassen, wird aus dem Bett geworfen, muß ihre Lektüre zur Seite legen, kurz: Zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit wird sie vor das Ding geschleppt. Aber damit nicht genug. Sie muß auch noch sachkundig ihre Meinung dazu äußern. Tut sie das nicht, oder kommt gar mit der "Ausrede" das wären alles böhmische Dörfer und das verstehe sie nicht, wird ihr lang und ausführlich erklärt, was gerade läuft, warum es läuft, welche Verknüpfungen und Sprünge, welche Adressen und Programme dazu notwendig waren.
Aber sie begreift natürlich nichts. Das einzige was sie wahrnimmt, sind irgendwelche Hieroglypen, die auf dem Bildschirm rumflitzen. Auf die Frage: "Hast du alles verstanden ?" nickt sie ergeben. (Bloß nicht den Kopf schütteln, sonst geht das ganze von vorne los und meist noch mehr ins Detail.) Die gröberen Hardware-Arbeiten werden in der Küche durchgeführt. Da ist so richtig Platz für die Fachunterlagen, Schaltpläne, Lötkolben und Lötzinn. Zum Essen schiebt man den ganzen Kram mit beiden Händen sanft und vorsichtig nach hinten, zur Seite oder sonstwohin, damit man gerade ein kleines Plätzchen für den Teller hat.
Im übrigen gehen bei solchen schnöden Maßnahmen wie Essen und Schlafen wertvolle Rechenzeit verloren, so daß diese Dinge auf das absolute Mindestmaß reduziert werden müssen.
Das sind ihre Sprachen
Bei den Programmiersprachen gibt es Modeströmungen, die ungefähr mit den Jahreszeiten wechseln. Man bevorzugt Esoterisches wie "C" oder "Lisp" bzw. Handfestes (FORTRAN, COBOL), aber eigentlich gibt es für jede Sprache jemanden, der alles übrige als Quatsch abtut. Und natürlich PASCAL - denn wie sonst soll sich der kultivierte Computerfreak von der Masse derer abheben, die mit Mühe gerade mal eine FOR-NEXT-Schleife ohne Verschachtelungskollision zustande bringen.
Bisweilen kommt es vor, daß sie über geheimnisvolle Dinge in Gelächter ausbrechen (nicht mitlachen ist ein Zeichen mangelnder Intelligenz), z.B. über einige Assembler-Statements oder die Schaltung eines Datenseparators. Ihre Zunft scheint eine neue Art Komik zu kreieren, so ist ihr Gebiet alles andere als trocken, es lebt. Software und Systeme, die nicht laufen wollen, sind eine spannendere Herausforderung als jedes Abenteuer.
Das treibt sie an
Typischerweise werden große Projekte ins Auge gefaßt, die nie realisiert werden. Dennoch gibt es einen eindeutigen und überraschenden Fortschritt, denn diese Projekte bauen ja auf den früheren auf. Man kann das nicht verstehen, wenn man nicht einsieht, daß in der Computerei vor allem der abstrakte Entwurf zählt. Die Philosophie der Computerfreaks ist in gewisser Weise durch Prof.Ungrüns Satz zu charakterisieren: "Nichts ist langweiliger als ein Programm, das endlich fehlerfrei läuft". Das muß wohl auch auf die Hardware zutreffen. Sie haben ein großes Talent, diesen traurigen Zustand nie eintreten zu lassen, aber sie glauben, daß sie permanent mit aller Kraft versuchen, diese Situation zu überwinden.
Sie unterhalten sich in einer Weise, daß ein gewöhnlicher Sterblicher bei jedem zweiten Wort nicht weiß, wo er nachschlagen könnte - es ist auch nicht sicher, daß sie sich gegenseitig verstehen. Wenn sich drei unterhalten, kann mindestens einer nicht ganz folgen, weil er sich mit einem anderen Spezialgebiet befaßt. Für den unbeteiligten Laien stellen sich dann mitunter solche Fragen, ob die Computerfreaks die "Bustreiber" im Stadtverkehr einsetzen oder ob auf der "Europakarte" auch Gebirge und Flüsse eingezeichnet sind.
Ordnung: Chaos im System
Häufig haben sie auch sonst einen ausgefallenen, gehobenen Geschmack, was Kunst, Musik, Literatur betrifft, eine Neigung zum Surrealismus oder Kubismus (vor allem bei den Gehäusen) ist nicht selten. Auffällig ist die im höheren Sinne bestehende Ähnlichkeit ihrer Wohnungen und Zimmer. Diese sind niemals unpersöhnlich wie vielleicht bei Technokraten oder Angestellten. Manche sammeln Antiquitäten, z.B. alte Rechen- oder Schreibmaschinen.
Natürlich herrscht im engeren Aufenthaltsbereich die Technik vor: Man sieht in jedem Fall einen oder mehrere Bildschirme, diverse Tastaturen, vorzugsweise stecken irgendwo Platinen. Die Regale an den Wänden reichen grundsätzlich nicht aus, um die Ordner mit Disketten, Kassetten und Handbüchern zu fassen; auf dem Tisch, am Boden stehen weitere Stapel, dazu Platinen, häufig offenbar nur teilweise bestückt, Vorräte an Draht und Papier, Lötkolben und, daran kann man sie eindeutig von Amateurfunkern unterscheiden: Drucker. Irgendwelche geöffneten, demontierten oder im Aufbau (oder in beiden Stadien gleichzeitig) befindliche Geräte stehen herum. In extremen Fällen gleicht das Gelände einem Truppenübungsplatz im Endstadium. Es türmen sich mehrere Monatsschichten Zeitschriften, Bücher, Schraubenzieher, Unterhosen, Bohrmaschinen, Feilen, Gehäusebauteile und Meßgeräte zu einem Dschungel, in dem ständig etwas gesucht wird (vorzugsweise banales Werkzeug wie Schraubenzieher, dessen Verlust die Arbeit stundenlang aufhält.).
Das ist ihr Ziel
Es ist für den Unverständigen schwer zu begreifen, woran sie eigentlich arbeiten. Befragt man sie, so erhält man übrigens detaillierte und geduldige Auskunft darüber, daß sie an etwas arbeiten, was die unabdingbare Voraussetzung für ein anderes Vorhaben ist, das vielleicht seinerseits nur Mittel zum (zu welchem?) Zweck ist.
Nie findet sie man mit etwas Endgültigem beschäftigt, ja es scheint die Essenz ihres ganzen Strebens zu sein, daß sich alles im Fluß befindet. Vielleicht hat ihr Hobby eigentlich keinen Zweck und ist somit das Edelste überhaupt; sie arbeiten unermüdlich für etwas, daß sie nie erreichen, dem sie nicht einmal nahe kommen, ein Zustand endloser Glückseligkeit.
(nach MC-Sonderheft "Dein Weg zum Computer" Franzis-Verlag 1982, ausgegraben von Ralf Däubner)