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Die Legende vom Flug ins Blau

Warum ist Bill Gates der reichste Mann der Welt? Weil an einem bestimmten Tag im Sommer 1980 in Kalifornien gutes Flugwetter herrschte. Das verlockte Gary Kildall mit seinem Privatflugzeug abzuheben und zwei Abgesandte von IBM sitzen zu lassen. Schließlich zogen die grauen Herren beleidigt ab und ließen den Programmierer von CP/M, damals erste Wahl unter den Betriebssystemen für Microcomputer, davonfliegen. Sie wandten sich an Bill Gates von Microsoft, der wenig Ahnung von Betriebssystemen hatte, aber klare Visionen für den Markt. Und den wollte IBM mit einem eigenen Produkt zurückerobern, was mit dem IBM-PC bekanntlich auch gelungen ist.

Natürlich handelt es sich hier um eine Legende, und jeder Autor, der sie erzählt, schmückt sie auf seine Weise aus und beteuert gleichzeitig, seine Version sei die einzig wahre. Vielleicht waren es zwei IBMer, vielleicht auch vier, die vergeblich nach Pacific Grove gefahren waren. Vielleicht war Gary gar nicht in der Luft, sondern auf Geschäftsreise, während seine Gattin Dorothy McEwen, welche die gemeinsame Firma Digital Research Inc. managte, den Herren von IBM die Tür wies, weil sie gerade eine Sitzung mit Leuten von Hewlett Packard hatte und am folgenden Tag in Urlaub fahren wollte. So jedenfalls sieht es Gordon Eubanks, ein ehemaliger Mitarbeiter von Digital Research, später Boss von Symantec.

Nach anderen Quellen weigerte sich Dorothy, ein Geheimhaltungsabkommen zu unterschreiben, das ihr die Abgesandten von IBM vorlegten. Gary, zurück vom Ausflug, wollte sofort unterzeichnen, aber da war es schon zu spät. Tatsache ist: Sie konnten zueinander nicht kommen, Gary Kildalls kleine Digital Research und die große IBM, welche CP/M (Control Program/Microcomputer) für ihr PC-Projekt außerordentlich gut hätte brauchen können. Vielleicht wäre die weltweite PC-Gemeinschaft heute glücklicher mit einem schnellen, zuverlässigen, speichersparenden und robusten Nachfolger von CP/M, wenn es damals im Sommer 1980 - das Datum ist nicht bekannt - in Kalifornien geregnet hätte, und Gary nicht mit dem Sportflugzeug ins große Blau über den Wolken, sondern in die Zukunft mit Big Blue gestartet wäre. Und vielleicht wäre er heute noch am Leben.

Gary Kildall stammte wie Bill Gates aus Seattle, sie lernten sich im Umfeld der University of Washington kennen, wo Kildall 1972 in Computerwissenschaften promovierte. Die beiden späteren Konkurrenten arbeiteten Ellbogen an Ellbogen an einer PDP-10 von DEC - so will es die Legende. Später unterrichtete Kildall an der Marineuniversität von Monterey und begann mit seinen Studenten im Klassenzimmer die neuen Micros von Intel zu programmieren. Gordon Eubanks bezeichnet Gary als brillanten Programmierer, der das erste Betriebssystem für Intels 8-Bit-Prozessoren gleichsam nebenbei aus dem Ärmel schüttelte.

Zu diesem Zweck entwickelte er eine eigene Programmiersprache, PL/M, einen Dialekt von IBM's PL/1. Kompiliert wurde auf dem Großrechner, das Programm dann in EPROMs gebrannt. Obwohl Kildall anfangs nicht so recht wußte, wie er seine Software kommerziell verwerten könnte, gründete er die Firma ,,Intergalactic Digital Research``. Ein Legendenschreiber will sogar wissen, daß er CP/M ursprünglich für ein Astrologieprogramm entwickelt habe, das in Spielautomaten eingesetzt werden sollte. 1974 stand die erste Version von CP/M, das viele Eigenschaften von den Betriebssystemen von DEC geerbt hatte.

CP/M entwickelte sich in den späten Siebzigern zum Standard für 8-Bit-Micros wie Intel 8080 oder Zilog Z-80. Als die ersten Floppy Disk von Shugart Associates auf den Markt kamen, programmierte Kildall ein File-System. ,,Seine Einfachheit und Zuverlässigkeit war ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg von CP/M``, schreibt er selber in einem Artikel in der Zeitschrift Byte. 1977 erfand er das Konzept des BIOS (Basic Input/Output System) und überarbeitete CP/M vollständig. Es bestand nun aus zwei Teilen, einem standardisierten Disk-Operating-System, in PL/M programmiert, und dem BIOS, in Assembler geschrieben, das an die spezifische Hardware angepaßt werden konnte. Zum Betriebssystem gehörten fortan auch Editor, Assembler, Debugger und verschiedene Utilities. CP/M lief schließlich auf hundert verschiedenen Systemen, auch auf dem legendären Apple II. Das Wort ,,Intergalactic`` hatte Digital Research inzwischen aus dem Namen gestrichen.

Das erste MS-DOS war mehr oder weniger eine Abkupferung von CP/M. Befehle wie DIR, TYPE, DATE und REN wurden eins zu eins übernommen, andere Eigenschaften mit geringen Anpassungen. ,,Wenig mehr als ein Klon``, schreibt Eubanks. Programmiert hatte den Klon Tim Patterson aus Seattle, der sich geärgert hatte, daß Digital Research nur zögernd in die 16- Bit-Technologie einstieg. ,,Tim wurde praktisch der Vater von MS-DOS``, schreibt Bill Gates in seinem Buch ,,Der Weg nach vorn``. Über seinen ehemaligen Freund Gary Kildall, den Schöpfer von CP/M, schweigt er sich aus. Er erwähnt nur, daß IBM auf ihrem ersten PC auch CP/M-86 anbot als Alternative - allerdings zu 175 Dollars, während MS-DOS nur 60 kostete.

Damit war die Zukunft von Digital Research besiegelt. Die Firma brachte zwar weitere ausgezeichnete Produkte auf den Markt, etwa GEM, ein Windows-ähnliches Benutzerinterface, das anfangs sehr erfolgreich war. Aber die große Chance war vertan, 1991 wurde Digital Research von Novell übernommen.

Gary Kildalls Tod im Jahr 1994 im Alter von 52 Jahren war der Fachpresse kaum mehr eine Notiz wert. ,,Er starb an Kopfverletzungen, die ihm eines Nachts im Ausgang in Monterey beigebracht wurden``, schreibt Eubanks. Andere Versionen seines Ablebens sind je nach Autor: Streit in einer Bar, Sturz von einer Leiter oder Herzanfall. Doch einig sind sich alle: Gary Kildall war der große, unverstandene Pionier der Microcomputer-Software. Gordon Eubanks nennt ihn ,,den Mann, der Bill Gates die Welt schenkte``. Seine Legende lebt weiter.

Zur Verfügung gestellt von Gaby Chaudry